Wissenschaftlicher Newsticker Dezember 2016
Einführung organisatorischer Disziplin als essentielle Voraussetzung für die Erreichung eines hohen Leistungsgrades nach Übergang von der handwerklich betriebenen Einzelplatzmontage hin zur industriell produzierenden Fließmontage am Bespiel der Montage von Wand- und Deckenelementen für Niedrigenergiehäuser
Dezember 2016 Der Stellenwert traditioneller Hausbauweisen, wie z. B. „Stein auf Stein“, verringert sich zusehends durch die Konkurrenz alternativer Konzepte. Durch maßgebliche Entscheidungskriterien, wie z. B. Energieverbrauch, Preis und Aufstellungsdauer des Hauses verrückt der Fokus potentieller Kunden vermehrt in Richtung industriell produzierender Hersteller von individuellen Fertighauskonzepten. Der langjährige Forschungs- und Entwicklungspartner des IAF, Ing.-Holzbau Schnoor GmbH & Co. KG, entschied sich, den Ausbau der Produktsparte des Tafelbaus (der Vorproduktion von Wand- und Deckenelementen) und somit den bis dato handwerklich betriebenen Produktionsbereich zu einem industriell produzierenden System weiter zu entwickeln. Nach bereits erfolgreicher Fabrikplanung, baulicher Realisierung und technischer Implementierung des innovativen Produktionssystems ergab sich dadurch erneut eine interessante Forschungskooperation für das IAF.
Bild: Produktionssystem vollautomatisierte Nagelbrücke
Auf dem Weg zum wirtschaftlich effizienten Betreiben des Produktionssystems sollte im nächsten Schritt die Schaffung einer Datengrundlage sowohl für die Kapazitätsplanung als auch für die Kostenkalkulation erfolgen. Die Mitarbeiter des IAF waren damit betraut, eine umfassende Datenerhebung zur Quantifizierung des aktuellen Leistungsgrades des Produktionssystems durchzuführen und zeitliche Zusammenhänge zwischen Bearbeitungszeit und konstruktiver Merkmale zu eruieren.
Die methodische Basis für die Datenerhebung bildete eine circa zwei Monate andauernde Arbeitstagaufnahme. Zunächst erfolgte die Festlegung des Ziels und des Verwendungszwecks, die als Grundlage aller weiteren Vorgehensschritte diente. Darauf aufbauend wurde das Arbeitssystems charakterisiert und die erhebungsrelevanten Tätigkeiten sowie die Anforderungen an die Genauigkeit der Messung detailliert beschrieben. Die zu analysierenden Stationen wurden als Ablaufabschnitte definiert sowie die jeweiligen Messpunkte der Tätigkeiten pro Station bestimmt. Um die Aufwendungen in einem wirtschaftlich vertretbaren Rahmen zu halten, diente eine in das Produktionssystem installierte Kameratechnik als Hilfsmittel zur Bildaufnahme. Durch die vollständige Unterstützung der Produktionsmitarbeiter bei der Anwendung dieser Technik, war eine umfangreiche Aufnahme des Produktionssystems möglich. Die statistische Auswertung der erhobenen Daten mit Berechnung der Grundzeit erfolgte abschließend.
Grundsätzlich kann nach Nutzung der Kamera verifiziert werden, dass Vorteile insbesondere
- in dem geringeren Analyseaufwand,
- in der zeitlich und örtlich flexiblen Erhebung,
- sowie in der Möglichkeit, den Ablauf nahezu unbegrenzt wiederholt zu beobachten und somit eindeutig nachvollziehen zu können (Wiederverwendbarkeit)
liegen. Nachteile dieser Vorgehensweise liegen darin, dass
- keine direkte Interaktion bei Unklarheiten möglich ist und
- die qualitative Bilddarstellung (Erkennbarkeit) von der Kameratechnik und der Installationsposition abhängig ist.
Das vordergründige Ziel, eine Kapazitätsplanungs- und Kalkulationsgrundlage zu schaffen, wurde vollumfänglich erreicht. Die quantitativen Daten bzgl. der Grundzeit (reine Bearbeitungszeit) sind aus Sicht des Kunden nach aktuellem Stand durchaus zufriedenstellend. Weiterhin konnten Rückschlüsse auf den Einfluss konstruktiver Merkmale hinsichtlich der Bearbeitungszeit gezogen werden. Dennoch deckte die angewandte Methodik eine Vielzahl an Defiziten in der Organisation des Produktionssystems auf, die einen optimalen Leistungsgrad der Fließmontage zu diesem Zeitpunkt nicht gewährleisten konnte.
Im weiteren Sinne der Produktionssysteme impliziert die „Organisation“ eines solchen die Bereitstellung jedweder zur Umsetzung der definierten Arbeitsaufgabe notwendigen Elemente unter wirtschaftlich sinnvollem Aspekt. Diese Elemente umfassen die ausführenden Mitarbeiter, die zur Produktion notwendigen Maschinen (Anlage/Betriebsmittel/Werkzeug/Handlingsgeräte), das zu verarbeitende Material sowie alle zur Ausführung erforderlichen Informationen und Energieflüsse. Grundsätzlich bedarf es dieser Elemente in jedem Produktionssystem; unabhängig der Organisationsform. Jedoch gestaltet sich die strukturierte Organisation (Koordination und zeitliche Abstimmung) dieser Elemente in einem Fließsystem als wesentlich anspruchsvoller und umfangreicher entgegen anderer Organisationsformen. Bereits vermeidlich geringe, organisatorische Unzulänglichkeiten bringen das in der Regel verkettete Gesamtsystems vollständig zum Erliegen. Ein hoher Leistungsgrad und damit verbunden positive (v.a. wirtschaftliche) Effekte des Fließkonzeptes (z.B. sehr geringe Durchlaufzeiten und geringe bis gar keine ablaufbedingte Liegezeit der Zwischenerzeugnisse) können nur mit einer hohen organisatorischen Betreuungsleistung erzielt werden.
Im betrachten Anwendungsfall zeichneten sich während der Analyse zum Teil erhebliche Defizite zwischen der reinen Bearbeitungszeit und der Liegezeit der Zwischenerzeugnisse ab. Die eindeutig eruierten Ursachen umfassten die nicht vollständige Einhaltung grundlegender organisatorischer Voraussetzungen zum Betreiben eines Fließsystems, z. B. eine klar definierte Arbeitsteilung, ein robustes Steuerungskonzept zur Materialverfügbarkeit, Ordnung durch definierte Plätze für Material und Werkzeug und intensive Kommunikation bei auftretenden Fehlern. Insbesondere führte die überdurchschnittlich hohe fachliche Kompetenz der Mitarbeiter zu instinktiv eigeninitiierter Kompensation vieler Fehlereinflussfaktoren ohne deren Dokumentation oder deren nachhaltiger Beseitigung. Wiederholt auftretende Fehler und damit verbunden zeitlich aufwendige Vor-Ort-Lösungen waren das Ergebnis. Nach Identifizierung dieser Schwachstellen konnten in Kooperation mit den Mitarbeitern Abstellmaßnahmen eingeleitet werden. Es wurde eine klare Arbeitsteilung definiert, ein robustes Steuerungskonzept zur Sicherstellung der Verfügbarkeit verbrauchsorientierter Materialien implementiert und Mitarbeiter bzgl. der Einhaltung organisatorischer Regeln und Routinen sensibilisiert. Weitere Maßnahmen umfasste die Kennzeichnung von Stellplätzen für Material und Werkzeuge.
Ansprechpartner: Dipl.-Ing. Gerd Wagenhaus / Dipl.-Wirtsch.-Ing. Varina Neumann