Wissenschaftlicher Newsticker Februar 2017

30.11.-1 -  

Agentensysteme in der Fabrikautomation

Februar 2017 Seit vielen Jahren werden Agentensysteme als Entwurfsparadigma und als Implementierungstechnologie untersucht. Im Ergebnis wurden eine Vielzahl von agentenbasierten Steuerungsarchitekturen entwickelt, die die Vorteile der Agentensysteme nutzbringend einsetzen um bestehende Probleme in der Fabrikautomation zu behandeln. Diese Bemühungen sind zum Beispiel in der VDI Richtlinie 2653 „Agentensysteme in der Automatisierungstechnik“ und in Veröffentlichungen wie den Büchern “Agentensysteme in der Automatisierungstechnik“ von P. Göhner (Editor) und “Industrial Agents: Emerging Applications of Software Agents in Industry“  von P. Leitão und S. Karnouskos dokumentiert, an denen das IAF mitgearbeitet hat. In den letzten 3 Jahren hat das IAF (hier insbesondere durch die Arbeiten von Frau Dipl.-Ing. Daria Ryashentseva) einen weiteren Schritt gemacht.

Ausgangspunkt der Arbeiten waren die in der Industrie 4.0 adressierten Fragen hinsichtlich Flexibilität von Produktionssystemen. Jede Produktionssystemkomponente sollte sich selbst an die sich ändernde Umgebungsbedingungen und Produktionsanforderungen anpassen und entsprechend optimiert Produktionsprozesse ausführen können. Dies ist jedoch mit den bestehenden Automatisierungsstrukturen nicht umsetzbar.

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Abbildung 1: Bestehende Herausforderungen für Produktionssysteme

Als besondere Herausforderung konnten identifiziert werden:

  • die Verteilung von Steuerungsentscheidungen auf kooperierende Systeme,
  • die automatische Veränderung der Ansteuerung von Produktionsprozessen durch die integrierten Steuerungen und
  • die Nutzung von Produktbeschreibungen, um diese Veränderung anzustoßen.

Jedoch ist es nicht sinnvoll davon auszugehen, dass bestehende Steuerungssysteme in einem Schritt durch neue Steuerungssysteme ersetzt werden können. Im Gegenteil, die neuen Steuerungssysteme müssen durch Migration aus den bestehenden heraus entwickelt und implementiert werden können, d.h. sich als Erweiterung bestehender Steuerungssysteme ergeben.

Als eine sinnvolle Basis für die Umsetzung einer Erweiterung bestehender Steuerungsarchitekturen konnte die von Ramadge und Wonham entwickelte Supervisory Control Theory identifiziert werden. Diese postuliert die Existenz eines gesteuerten Systems in Sinne eines geschlossenen Steuerkreises, dessen Verhalten durch einen Supervisor eingeschränkt bzw. an Anforderungsänderungen angepasst wird. Die in Abbildung 2 dargestellte Struktur kann auf den verschiedensten Ebenen der Automatisierungspyramide angewendet werden. Sie unterscheidet sich dabei lediglich hinsichtlich der für Steuerungsentscheidungen herangezogenen Informationen und deren Einwirkung auf das gesteuerte System.

Betrachtet man die Feldebene, so bezieht sich der Anpassungsbedarf eines gesteuerten Systems auf den auszuführenden Prozess (im Falle der Fabrikautomation den Produktionsprozess innerhalb einer Ressource). Hier müssen die Prozessparameter an den, für das zu produzierende Produkt notwendigen, Prozess angepasst werden.

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Abbildung 2: Supervisor Architektur auf Feldebene

Auf MES oder ERP Ebene hingegen geht es um die organisatorische Struktur der Interaktion der verschiedenen Ressourcen im Produktionssystem. Diese ist an die für das Produkt notwendige Produktionsprozessreihenfolge anzupassen.

Zur Umsetzung dieser Supervisor Architektur hat Frau Ryashentseva eine auf fünf Agenten basierende Architektur entwickelt, die in Abbildung 3 wiedergegeben ist.

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Abbildung 3: Supervisor basierte Steuerungsarchitektur

Sie besteht aus den nachfolgenden Agenten:

  • Der Executive Agent dient dem Zugriff auf das unterlagerte Steuerungssystem, das über eine konventionelle Steuerung gesteuert wird. Er realisiert damit die Umsetzung der Anpassung des gesteuerten Systems an die geänderten Anforderungen eines Produktes oder seiner Umwelt.
  • Der Supervisor Agent trifft die Entscheidungen über eine Anpassung des gesteuerten Systems. Er sammelt dazu alle verfügbaren bzw. notwendigen Informationen.
  • Der High-availability Agent überwacht die Umwelt des gesamten Systems und liefert damit dem Supervisor Agent Informationen über steuerungsrelevante Ereignisse.
  • Der Rescheduler Agent unterstützt den Supervisor Agent durch die Ausführung notwendiger Berechnungen wie zum Beispiel der Bestimmung neuer Arbeitspläne.
  • Der Dispatcher Agent beinhaltet eine Wissensbasis mit für die Entscheidung des Supervisor Agent relevanten Informationen.

Am Beispiel dreier Anwendungsfälle weist Frau Ryashentseva in ihrer Promotionsschrift „Agents and SCT based self* control architecture for production systems” die Vorteile der Steuerungsarchitektur nach. Eines der Beispiele bezieht sich auf eine am IAF befindliche Laboranlage. Für diese ist die in Abbildung 4 gezeigte Agentenarchitektur umgesetzt worden.

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Abbildung 4: Beispielumsetzung

Mit der von Frau Ryashentseva am IAF entwickelten Steuerungsarchitektur kann die notwendige Flexibilität von Produktionssystemen, wie sie in der Industrie 4.0 angestrebt wird, angegangen werden. Die fünf entwickelten Agenten können dabei als eine mögliche Realisierung für eine Verwaltungsschale einer Industrie 4.0 Komponente angesehen werden.  

Die im Rahmen der Promotion von Frau Ryashentseva erarbeiteten Architekturen bringt das IAF derzeit in die Überarbeitung der VDI Richtlinie 2653 ein. Dabei sind insbesondere bekannte Anwendungsfelder von agentenbasiertem Steuern und dort entstandene Entwurfsmuster relevant, die derzeit am IAF erarbeitet werden.

Ansprechpartner: apl. Prof. Dr.-Ing. habil. Arndt Lüder

 

Letzte Änderung: 20.04.2022 - Ansprechpartner: Webmaster