Steuerungslösung für variantenreiche Serienfertigungen

Zur Absicherung der Lieferbereitschaft bei einem hochvolatilen Abrufverhalten der Kunden sehen sich Lieferanten gezwungen, reaktionsschnelle Fertigungen und/oder bestandsabgesicherte Lieferketten vorzuhalten, die vor allem für komplexe Lieferteile schwierig zu konfigurieren und zu steuern sind. Der Schlüssel zum Erfolg liegt hierbei in der Kombination aus minimaler Bestandsorientierung und maximaler Reaktionsfähigkeit, um eine wirtschaftliche und logistische Leistungsfähigkeit bei hoher Funktionalität der Lieferantensysteme sicherzustellen.

Das von den Forschern des IAFs entworfene Steuerungsverfahren kombiniert die grundlegenden Engpass- und bestandsgeführten Steuerungsmechanismen zu einer dynamischen engpassgeführten Fertigungssteuerung (Dynamic Bottleneck Starvation Control… DBSC) und ist ausgelegt für variantenreiche Serienfertigungen. Mithin erfolgt hierbei die Fertigung einer überschaubaren Anzahl an Produktvarianten in artgleichen Fertigungsfolgen. Je Arbeitsvorgang können dabei z.T. mehrere identische Maschinen zum Einsatz kommen, an denen aufgrund der Produktvarianten teilweise zeitintensive Umrüstvorgänge anfallen.

Grundsätzlich gilt: Um ein Produktionssystem zu steuern, muss man zunächst sein Verhalten analysieren und verstehen. Ein wesentliches Modell für die systemtheoretische Beschreibung von Produktionsabläufen stellt mithin das Regelkreismodell dar. Die Komplexität eines derartigen Reglers (hier: das Fertigungssteuerungsverfahren) ist dabei abhängig von der Art und Beschaffenheit der Regelstrecke (hier: das Produktionssystem). Einfache robuste Produktionssysteme mit hohem Bestimmtheitsmaß bzw. hohem Organisationsgrad, wie diese ein festverkettet und getaktete Fließlinie darstellt, erzeugen definierte, stabile Leistungsmerkmale, den es sich bei der erhöhten Komplexität anderer System anzunähern gilt.

Dabei kann folgendes konstatiert werden: Produktionssysteme, in denen eine hohe Variantenanzahl an Produkten mit sehr unterschiedlichen Arbeitsvorgangsfolgen gefertigt wird, erfordern zumeist auch komplexe Planungs- und Steuerungsverfahren. Je weniger Varianten mit nahezu identischen Arbeitsvorgangsfolgen ein Produktionssystem aufweist, desto einfacher kann das erforderliche Planungs- und Steuerungsverfahren gestaltet werden.

Mithin lassen sich für derartige Produktionssysteme dynamisch flexible Belegungsroutinen ermitteln, wobei die freigegebenen Arbeitsvorräte jeweils die systemimmanente Verfügbarkeit der jeweiligen Engpass-Situation ausweisen. Ein definierter Bestand vor dem Engpass vereinfacht die Regelstrecke und erhöht damit die grundlegende mengen- als auch zeitabhängige Ausbringung.

Darauf zielt die DBSC: Anhand eines langzyklisch terminierten Fertigungsplans erfolgt die kurzzyklische Auftragsfreigabe nach der Maxime „Pufferlager vor Engpass immer ausreichend voll“, um vordergründig ein Leerlaufen des Engpasses zu verhindern. Zudem lassen sich dadurch art- und mengenmäßigen Veränderungen von Fertigungslosgrößen und/oder signifikanten Schwankungen der betrieblichen Leistungsfähigkeit der Arbeits- und Betriebsmittel ausgleichen.

Deshalb fungiert die DBSC im Sinne eines 2-Wege-Ausgleichsventil:

(1)    Langzyklische Anpassung des Ressourceneinsatzes:
Dabei dient der verfügbare Arbeitsbestand als Einstell- und Interventionsgröße zur flexiblen Anpassung der Produktionsressourcen im systemspezifischen Leistungskennfeld.

(2)    Kurzzyklischer Mengen- und Kapazitätsabgleich:
Anhand gemittelte Relationswerte werden die verfügbaren Arbeitsbestände vor und nach dem Engpass überwacht, wobei systemspezifische Schwellwerte eine kurzfristige Termin- bzw. Mengenanpassung der einzusteuernden Aufträge auslösen.

Bild

Abbildung: Grundmodell der Dynamischen engpassgeführten Fertigungssteuerung

 

Mit der Anwendung des vorgestellten Steuerungsverfahrens wird eine quasi kontinuierliche Produktion anhand von festgelegten Eingriffsgrenzen gewährleistet. Dem Charakter verketteter Systeme Rechnung tragend biete es die Möglichkeit zur schnellen und flexiblen Aus- und Einplanung der Ressourcen, je nach vorliegendem Kundenabrufverhalten. Eine quasi kontinuierliche Kapazitätsanpassung wird möglich, die im Rückgriff auf betriebsorganisatorische Regeln und Routinen zu einer nachhaltigen Verbesserung der wirtschaftlichen Situation führt.

 

Ansprechpartner: Ulf Bergmann und Gerd Wagenhaus (IAF)

 

 

Weitere Infos:

Validierung und Entwicklung der Steuerung robuster Fertigungen (Drittmittel-Projekt)

 

Literatur:

Wagenhaus, Gerd;  Gürke, Niels;  Kurt, Werner;  Bergmann, Ulf

Dynamic bottleneck starvation control

In: Advances in Production Management Systems. Artificial Intelligence for Sustainable and Resilient Production Systems: IFIP WG 5.7 International Conference, APMS 2021, Nantes, France, September 59, 2021, Proceedings, Part V - Cham: Springer International Publishing; Dolgui, Alexandre . - 2021, S. 544-552 - ( IFIP advances in information and communication technology; volume 634)

 

 

 

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Letzte Änderung: 15.12.2021 - Ansprechpartner: Webmaster