Changemanagement und Digitalisierung in der psychosozialen Beratung

Seit 2020 beschäftigt sich unser Lehrstuhl mit der Digitalisierung in der psychosozialen Beratung. Im Projekt Technische und organisatorische Arbeitsgestaltung in der psychosozialen Beratung (TOAB) haben wir am Beispiel von drei Wohlfahrtsträgern (Diakonie, PSW gGmbH und AWO im Landkreis Harz) die inter- und intraorganisationale Zusammenarbeit technisch als auch arbeitsgestalterisch analysiert und für die gefundenen Herausforderungen digitale Lösungsansätze entwickelt. So wurden die beteiligten Berater*innen vor allem bei der Qualität des Beratungsprozesses, Kommunikation und Prozessorganisation unterstützt.

Die psychosoziale Beratung von Menschen umfasst vielfältige Beratungsbereiche (z. B. Ehe-, Lebens-, Familien- und Erziehungsberatung). Die Probleme in den einzelnen Bereichen überschneiden sich jedoch immer häufiger, weshalb die Betreuung nicht durch eine einzelne Fachkraft abgedeckt werden kann. Daher wurden die Beratungsstellen in Sachsen-Anhalt als deutschlandweiter Vorreiter gesetzlich zu einer integrierten psychosozialen Beratung verpflichtet (FamBeFöG LSA, 2015) und interorganisationale, multiprofessionelle Teams (MPT) etabliert. An einem praktischen Beispiel verdeutlicht: In der Familienberatung wird erkannt, dass ein Elternteil eine Suchterkrankung hat und sich dadurch zusätzlich verschuldet. In diesem Fall verweist die Familienberatung den Elternteil zur passenden Sucht- und Schuldner-Beratungsstelle. Die enge Zusammenarbeit in diesen Teams geht für die einzelnen Berater*innen mit hohen Herausforderungen an die intra- und interorganisationale Vernetzung der beteiligten Organisationen einher. Bislang mangelte es der neuen Arbeitsstruktur an geeigneten organisationsübergreifenden Prozessen und Hilfsmitteln zur Kommunikation und Kooperation. 

Vorgehensweise und Ergebnisse des Projekts

TOAB Interdisziplinäres Vorgehen

Das Projekt TOAB konzentrierte sich bei den Analysen auf drei Erziehungsberatungsstellen im Landkreis Harz (AWO, DW, PSW), welche sich bereits 2018 zusammengeschlossen haben, um als gemeinsamer Trägerverbund zu agieren. Die gewonnenen Erkenntnisse in Bezug auf die Zusammenarbeit im Trägerverbund sollen langfristig auf die MPT Arbeit im Land Sachsen-Anhalt übertragen werden können.

Belastungsquellen:

Bei dem Versuch einer Zusammenführung der drei Beratungsstellen zu einem gemeinsamen Trägerverbund wurden diverse Belastungsquellen identifiziert und Optimierungsansätze entwickelt. Durch Prozess- und Tätigkeitsanalysen sowie die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung bei den Institutionen wurden als größte Belastungsquellen der Dokumentationsaufwand der Berater*innen (inkl. Berichtswesen und Verwaltung) und die Digitalisierung analysiert. Es stellte sich heraus, dass nur 42,2% der Beratungstätigkeit reiner Klient*innen-Kontakt ist. Die Tätigkeiten, die unter Dokumentation subsumiert wurden, nehmen demnach 35,1% der Arbeitszeit ein.

Durch die Fragebogenerhebung und Reflexionsworkshops der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung wurde erkannt, dass die Veränderungen der Covid-19 Pandemie und die damit einhergehende Digitalisierung zu neuen Vorbehalten gegenüber neuer Hard- und Software geführt haben. Der Erwerb der Technik hat nicht zur automatischen Nutzung geführt.

Schulungsbedarfe:

Das fehlende Wissen über die Handhabung und die individuelle IT-Infrastruktur bei den Anwendungspartnern führte dazu, dass die Digitalkompetenzen mittels Fragebogen und Workshop erhoben wurden. Hier bestätigte sich, dass die Berater*innen durchaus gewillt sind mit dem Wandel der Zeit zu gehen und die Digitalisierung nicht ablehnen, sondern einerseits die institutionsseitige Infrastruktur Hürden darstellen (bspw. das Fehlen von eigenen E-Mail-Adressen pro Berater*in, ausreichend Telefonleitungen, genug Softwarelizenzen für die Nutzung von Videokonferenzprogrammen) und andererseits das Wissen über die Funktionen fehlt und dringend Einarbeitungen benötigt werden. Aufgrund dessen wurden partizipative Workshops und Schulungen durchgeführt.

Gemeinsames Online-Kalender Tool sowie eine Hotline für den Trägerverbund:

Um die intra- und interorganisationale Arbeit des Trägerverbunds zu unterstützen wurde als ein weiteres Ergebnis das Terminbuchungstool Timify und eine Hotline-Telefonnummer erworben, welches seither besonders gewinnbringend für die Team Assistenzen der einzelnen Träger ist. Im Falle eines Krankheitsausfalls oder Urlaubsvertretung kann bspw. die Team Assistenz der AWO auf die Kalender der Berater*innen der PSW zugreifen um Termine organisations-übergreifend zu buchen. Für die Entwicklung eines einheitlichen Prozesses wurden zwei Workshops durchgeführt. Gleichzeitig wurden Workshops zur Stärkung des Teamgefühls im Trägerverbund durchgeführt. Hierbei entstand ein gezielter Maßnahmenplan mit festen Aufgaben und Verbindlichkeiten für die Arbeit im Trägerverbund für das Jahr 2022 und 2023.

TOAB Workshop2Partizipative Workshops zur Akzeptanz- und Motivationssteigerung

Ein weiteres Ergebnis aus den Workshops war die Gestaltung einer Trägerverbund Homepage. Die Website erfüllt verschiedenste Ansprüche, indem sie hilfesuchenden Klient*innen auf diversen Endgeräten eine intuitive Darstellung der wichtigsten Ansprechpartner*innen bietet sowie den Trägerverbund nach außen repräsentiert. Die partizipativen Workshops wurden ebenso evaluiert und die Ergebnisse zeigten, dass der partizipative Ansatz deutlich zur Akzeptanzsteigerung von Digitalisierungsprozessen, zur eigenen Selbstwirksamkeitssteigerung und zu einem gemeinsamen Wissensstand bei den Berater*innen im Trägerverbund beigetragen hat. Hierbei wurde auch der Wunsch nach Fortführung der Workshops geäußert.

TOAB Workshop1Vorbereitung auf die Online Beratung:

Eine weitere Erkenntnis aus den Partizipations-Workshops war, dass sich die Berater*innen angesichts der Digitalisierung Fortbildungen im Bereich der Online Beratung (Blended Counceling) wünschen, welche im Jahr 2023 umgesetzt werden und zudem künftig auch Messenger Beratung für Klient*innen anbieten möchten. Hierfür wurden zwei Versionen eines Onlinefragebogens zur Erhebung der Akzeptanz eines solchen Tools partizipativ mit den Anwendungspartnern entwickelt. Durch zielgruppenspezifische Anpassungen der Fragen konnten so die Einstellungen der Berater*innen sowie der Klient*innen untersucht werden.

Akzeptanz von Messenger-Beratung:

Ein Messenger wird von beiden Gruppen als nützlich für die Beratung aller Altersgruppen im Sinne einer Lebensberatung und vorrangig bei der Beratung junger volljähriger Klient*innen angesehen. Außerdem besteht der Mehrwert darin, dass die Klient*innen persönliche Gedanken, die ihnen zwischen den Beratungsterminen einfallen, ohne Zeitverzug dem/der Berater*in mitteilen können, um im nächsten Gespräch ausführlicher darüber zu sprechen. So wird eine generelle Stärkung des Erkenntnisgewinns und der Problemverbesserung erwartet. Auch im Hinblick auf die neue Technik schätzen die Proband*innen das Erlernen und Nutzen eines Messengers als einfach ein. Nicht zuletzt, da diese Art von Software aus dem alltäglichen privaten Gebrauch bekannt ist. Es zeigen sich jedoch Bedenken der zukünftigen Nutzer*innen in der Vermittlung von Emotionen und nonverbalem Verhalten über Textmittelungen. Die Berater*innen sehen zudem einen zusätzlichen Stressor in der Messenger Beratung, die sich nicht zuletzt auf Grund der ständigen Erreichbarkeit negativ auf ihre Work-Life-Balance auswirken könnte. Generell wird die zusätzliche Messenger Beratung als gute Idee angesehen und würde von den Klient*innen regelmäßig genutzt werden. So wünscht sich die Mehrheit dieser die Einführung eines solchen Tools, während die Berater*innen zum jetzigen Stand lieber eine reine Präsenzberatung durchführen würden. Die Akzeptanz gegenüber einer solchen Innovation ist allgemein bei den Klient*innen geringfügig größer als bei den Berater*innen. An dieser Stelle ist jedoch anzumerken, dass die Akzeptanz vor der Einführung neuer Technologien und Prozessen tendenziell geringer ist als danach, weshalb die jetzigen mittleren bis hohen Akzeptanzwerte als gute Grundlage für die Einführung einer zusätzlichen Messengerberatung anzusehen sind.

Weitere Infos zum Projekt finden Sie hier

  1. https://forschung-sachsen-anhalt.de/project/technische-organisatorische-arbeitsgestaltung-24553
  2. https://www.interaktionsarbeit.de/DE/Vernetzung/Verbundprojekte/TOAB/TOAB_node.html#docd7571ee3-d86a-44f9-a4e9-47a11fc8f34cbodyText2
  3. https://www.zukunft-der-wertschoepfung.de/de/projekte.php?PN=11051055

 

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Letzte Änderung: 17.01.2024 - Ansprechpartner: Webmaster